PropheTisch:
„Dieser Narr erinnert sich an die Zukunft“ (Erich Fried)
Ein Text von Johannes Kohl
Prophetisch sind Worte und Aktionen, die etwas in Bewegung bringen, etwas verändern und erneuern wollen. Prophetinnen & Propheten sind Menschen, denen die Zukunft am Herzen liegt; deshalb beginnen sie zu reden, mitunter eindringlich und laut. Sie halten ihrer Zeit einen Spiegel vor und erinnern an moralische Standards und Grundlagen. Was ungerecht ist und verlogen, unterdrückerisch und selbstbezogen, gewalttätig und götzendienerisch, nehmen sie – oft gegen heftigen Widerstand – in ihren kritischen Blick, der Augen öffnen kann. Ihre Rede wird für die Einen zur Anklage, für Andere wird er zum Trost und zur Ermutigung, wenn Prophet*tinnen im Namen Gottes und in Hoffnung auf ihn eine andere Zukunft ansagen; wenn sie zusagen, dass Menschen heil werden können; wenn sie einfordern, dass Menschen gerecht werden müssen, damit sie frei leben können. Strukturen und Institutionen, die Ungerechtigkeit und Gewalt fördern statt sie zu überwinden, sind ebenso in ihrem unbestechlichen Blick und werden scharf angegriffen.
Es gab und gibt sie zu allen Zeiten und in allen Religionen; markant geworden und in unserem kulturellen Fundus gegenwärtig sind Propheten & Prophetinnen der Bibel, Jesaja, Jeremia, Amos, Elija, Mirjam, Deborah, Hulda und viele andere mehr, kleine und große, bekannte und weniger bekannte. Alle können Prophet, können Prophetin werden: „Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer werden Visionen haben“ heißt es für die Zeit der Ausgießung des göttlichen Geistes beim Propheten Joel; in der Pfingstpredigt des Petrus wird das fast gleichlautend zitiert.
Davon haben wir uns inspirieren lassen. Statt einer präsentierenden Ausstellung über biblische Prophet*innen haben wir unsere Gegenwart in den Blick genommen; dazu haben wir eine dialogische, kommunikative Form entwickelt: den „PropheTisch“.
Ein PropheTisch ist die Einladung, sich in kritischer Zeitgenossenschaft an einem Tisch zu versammeln und sich Anliegen und Fragen zu widmen, die in der Tradition der Prophet*innen stehen und von ihrem Geist beseelt sind. Angeregt durch biblisch fundierte, gegenwartsbezogene Impulse auf „Tischsets“ und „Servietten“ können Menschen am PropheTisch ihre eigene Sensibilität vertiefen, ihr eigenes Urteil formulieren, ihre eigene Stimme erheben – ihr eigenes prophetisches Potential entdecken. Das kann fragend sein oder suchend, sicher auch streitbar; es geschieht in Dialog, Diskurs und Debatte. In die Zukunft blickt dieses Projekt nicht durch eine Glaskugel, sondern mit wachsender Aufmerksamkeit für Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung, und Gewaltherrschaft.
Wir müssen reden: am runden oder eckigen Tisch;
Wir werden reden: am offener Tisch mit klarer Kante;
Wir können reden: eingeladen zum gedeckten Tisch
– in der Bibel ein bedeutsames, sprechendes Bild für eine gute Zukunft.
Elie Wiesel beschreibt Prophet*innen so:
Jemand, der sucht, jemand, der gesucht wird. Jemand, der zuhört und auf den gehört wird. Jemand, der die Menschen sieht, wie sie sind und wie sie sein sollten. Jemand, der seine Zeit widerspiegelt und doch außerhalb der Zeit lebt. Ein Prophet ist stets wach, stets auf der Hut; er ist nie gleichgültig, am allerwenigsten, wenn es um Ungerechtigkeit geht, menschliche oder göttliche.
Elie Wiesel: Von Gott gepackt, Freiburg: Herder, S. 39
Damit hat Wiesel mögliche Regeln und Kriterien für Gespräche an „PropheTischen“ formuliert und auch die Teilnehmenden perspektivisch in den Blick genommen. Zusammenfassend nennt er solche Menschen „Gottes Resonanzboden“ – ein hohes Prädikat und ein starker Anspruch, zugleich ein gelungener Versuch, die soziale und die religiöse Dimension prophetischen Reflektierens und Handelns zusammenzudenken.
Die entscheidende Frage an uns als „Ausstellungsmacher*innen“, als Gastgeber*innen der PropheTische wie als deren Gäste und Mitgestalter*innen hat Nelly Sachs formuliert:
Wenn die Propheten aufständen
Nelly Sachs: „Wenn die Propheten einbrächen“ (Auszug), in: Fahrt ins Staublose, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1961, S. 94.
in der Nacht der Menschheit
wie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen,
Nacht der Menschheit
würdest du ein Herz zu vergeben haben?
Quellen: Erich Fried: „Ein Prophet“ (Auszug), in: Gesammelte Werke, Berlin: Wagenbach 1993, Bd.1, S. 271 | Joel 3,1 |
Apostelgeschichte 2,17
Hier können Sie den Flyer zu Ausstellung herunterladen.